Letzte Aktualisierung: 07.03.2024.
Oktober 2023 hatte ich mal wieder Post von der comdirect bekommen: Um meinen Wertpapierkredit weiter nutzen zu können soll ich eine vertrauliche Selbstauskunft ausfüllen. Würde ich diesem Wunsch nachkommen, weiß die Commerzbank-Tochter mehr von mir als etwa Finanzamt oder Krankenkasse. Da winke ich doch lieber dankend ab, da der Aufwand in keinem Verhältnis zum Ertrag steht, zumal die Konditionen sowieso nicht (noch nie?) wettbewerbsfähig waren.
Das Thema wird in den entsprechenden Foren bereits kontrovers diskutiert. Hier die weiteren Details und Hintergründe zu der geschäftlichen Entscheidung der Direktbank.
Die vertrauliche Selbstauskunft
Hier mal in kurz, was die comdirect so alles von mir wissen wollen würde. Achtung, bitte festhalten!
- Persönliche Angaben (Familienstand, Güterstand, Zahl der Kinder …)
- Berufliche Situation (Status, Name des Arbeitgebers …)
- Monatliche Einnahmen (Lohn, Gehalt, Altersrente, selbstständige Tätigkeit, Kindergeld, Renten …)
- Monatliche Ausgaben (Lebenshaltung, Miete, Nebenkosten, Krankenversicherung, Kredite, Sparleistungen, Steuervorauszahlungen …)
- Aktuelles Vermögen (Immobilien-Verkehrswerte, Bankguthaben, Depotwerte, Lebensversicherungen …)
- Aktuelle Verbindlichkeiten (Immobilienfinanzierungen, private Kredite, Steuerschulden, Bürgschaften …)
Gekrönt wird das Ganze noch mit einem Hinweis zur Datenübermittlung an die Schufa. Mein erster Gedanke nach dem Durchlesen: „How dare you?!“ Wollt Ihr vielleicht noch die Anzahl meiner Unterhosen wissen?
Allerdings, nicht nur ich bin erzürnt. Der Unmut in der Kunden-Community der comdirect ist nicht minder groß, und erstreckt sich mittlerweile auf 21 39 Seiten bzw. 389 Kommentare (Stand: 07.03.2024).
Meine Schreiben an die comdirect
Ich habe nicht lange gezögert, sondern meinen Unmut in einer, zugegeben etwas polemisch geratenen, E-Mail an den Kundenservice der comdirect kanalisiert:
Mit großer Verwunderung habe ich Ihr Schreiben vom 05.10.2023 mit einer angeblich erforderlichen Selbstauskunft für die zukünftige Nutzung meines Wertpapierkredits zur Kenntnis genommen.
Wie ich einschlägigen Foren im Internet entnehme, bin ich mit meiner Verwunderung, besser Verärgerung, nicht alleine.
Ich nenne nachfolgend nur die wichtigsten Punkte, die mir hierbei durch den Kopf gehen:
- Das Wesen eines Wertpapierkredit ist es ja gerade, im Unterschied etwa zu einem Konsumentenkredit, dass er über die im Depot befindlichen Wertpapiere bereits vollumfänglich gesichert ist. Es bedarf daher üblicherweise gar keiner Selbstauskunft bzgl. der Vermögensverhältnisse.
- Gleiches gilt für die Einholung einer Schufa-Auskunft, die üblicherweise für einen Wertpapierkredit eben nicht erforderlich ist.
- Sie beziehen sich etwas nebulös auf die „Erfüllung gesetzlicher Bestimmungen“. Aber welche sind diese denn im Detail? Immerhin werden bei anderen deutschen Anbietern ja durchaus noch „echte“ Wertpapierkredite angeboten.
- Der Umfang der Selbstauskunft ist eigentlich nur als „beispiellos“ zu bezeichnen. Weder Arbeitsagentur, Krankenkasse noch Finanzamt können da mithalten.
- Warum um alles in der Welt sollte ich mir für einen Wertpapierkredit mit übrigens nur recht begrenzt wettbewerbsfähigen Konditionen eine solche Mühe machen?
- Sie verlangen detaillierte Gehalts- bzw. Rentennachweise, obwohl Sie doch bereits über das Führen von Girokonto/Wertpapierdepot profunden Einblick in die Finanzen Ihrer Kunden genießen?
- Erwarten Sie ernsthaft, ich sollte einschlägige Nachweise (etwa Konto- und Depotauszüge) meiner Girobankverbindung, also der comdirect, an Sie, … die comdirect „weiterleiten“?
- Sicherlich darf ich davon ausgehen, dass Sie das Procedere dazu noch jährlich wiederholen müssen?
- Sie räumen Sie Ihren Kunden eine Bearbeitungszeit von gerade einmal 2 Wochen ein, noch dazu, wo Sie viele Kunden sogar in der Urlaubszeit angeschrieben haben.
- Ist der wahre Grund Ihres Vorgehens ggf. in der Sorge begründet, in Folge eventueller Börsenturbulenzen zu wenig Eigenkapital vorzuhalten? Wenn ja, dann wäre es ehrlicher, dies auch so konkret zu formulieren.
- Gleiches gilt, falls Sie das Produkt „Wertpapierkredit“ für Ihre Bank als nicht mehr attraktiv erachten.
- Die einschlägigen Kundenanschreiben versenden Sie mindestens bereits seit August 2023. Warum gehen Sie also in Ihrem Schreiben an mich nicht etwas detaillierter auf die o.g. Punkte ein bzw. haben Ihre Vorgehensweise mittlerweile nicht entsprechend angepasst?
- Zu guter Letzt: was erwarten Sie sich denn insgesamt von Ihrer Vorgehensweise: es dürfte doch klar sein, dass sich viele Ihrer Kunden ob ihrer Verärgerung jetzt nach alternativen Bankverbindungen und/oder Depotanbietern umsehen werden. Übrigens gerade solche Kunden, die ggf. auch etwas mehr Erträge bringen, als der gemeine Nur-Girokonto-/Tagesgeldkunde.
Der regulatorische Hintergrund
Positiv zu vermerken ist immerhin die schnelle Antwort der comdirect. Sie verweist dabei auf die Europäische Bankenaufsichtsbehörde (EBA). Diese sähe in Ihren „Leitlinien für die Kreditvergabe und Überwachung“ (EBA/GL/2020/06) vor, dass Kreditinstitute für die Vergabe von Wertpapierkrediten eine vertrauliche Selbstauskunft inkl. zugehöriger Nachweise von ihren Kunden einholen müssen. Diese Verpflichtung gelte nicht nur beim Abschluss neuer Verträge. Auch für bestehende Wertpapierkredite sei die Selbstauskunft nachträglich einzuholen.
Nun ja, so eindeutig finde ich die Formulierungen in der verlinkten PDF-Datei nicht. Zumals es dort ja um Kredite allgemein geht.
Vielleicht hat aber auch ein aktuelles Gerichtsurteil zur Handhabung von „Margin Calls“ an der restriktiven Geschäftspolitik der comdirect Schuld. Es geht dabei um den Umgang mit Wertpapierkrediten, bei denen der Kunde die erworbenen Aktien als Sicherheit bei der Bank hinterlegt und im Falle auftretender Wertverluste Geld oder Aktien nachschießen muss. In seinem Urteil (5 U 132/22) hat das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht die bisherige, auch anderswo übliche Praxis der comdirect verworfen. Dem Recht der Banken, bei einem Wertpapierkredit Sicherheiten zu verpfänden, werden zukünftig wohl sehr viel engere Grenzen gesetzt.
Die Frage steht im Raum, ob man wirklich so weit gehen muss wie die comdirect. Zumindest ist aber davon auszugehen, dass viele Banken Ihre AGBs entsprechend anpassen werden müssen.
Interessanterweise hat sich mittlerweile auch die Anwaltszunft des Themas bemächtigt und hofft wohl in Sachen Selbstauskunft ob der verunsicherten Kundschaft auf eine zusätzliche Einnahmequelle… ein Schelm, wer Böses dabei denkt 😉
Wertpapierkredit – wofür eigentlich?
Ich hatte seit 2018 bei der comdirect einen Wertpapierkredit. Eingerichtet, als die Zinsen noch halbwegs konkurrenzfähig waren. Für alle Fälle, falls man mal kurzfristig Geld benötigt. Das Schöne: der effektive Jahreszins gilt unabhängig vom Nettodarlehensbetrag, und Zinsen werden nur für den beanspruchten Kreditbetrag fällig. Wann und wie man einen Kredit zurückzahlt, bestimmt man selbst. Einmal beantragt, steht der Kredit immer zur Verfügung, nicht nur für der Wertpapiere, sondern auch für andere Zwecke…
Letztlich hatte ich den Wertpapierkredit bei der comdirect aber nur zur Disposition im Rahmen von Wertpapiergeschäften genutzt, um bis zur Wertstellung einer Transaktion nicht so hohe Sollzinsen zahlen zu müssen. Den Kreditrahmen hatte ich dabei nicht einmal annäherungsweise ausgeschöpft.
Für den Kauf von Wertpapieren auf Pump gab es schließlich auch schon 2018 günstigere Wertpapierkredite …
Konditionen nicht wettbewerbsfähig
Bei der comdirect, um beim Beispiel zu bleiben, beträgt der effektive Jahreszins für den Wertpapierverleih aktuell (seit 20.10.2023) 8,67 Prozent.
Trotz Zinsanstieg: Diese Konditionen sind schlicht nicht wettbewerbsfähig.
Bei anderen deutschen Depotbanken sind die Konditionen nicht viel besser.
Im Vergleich ein Lichtblick sind die Konditionen bei manchem Auslandsbroker. Bei Interactive Brokers bekommt man derzeit bis zu 90.000 EUR für 5,404 Prozent bis zu 90.000 EUR.
Der Wertpapierkredit von DEGIRO (Debit Geld) liegt aktuell bei 6,15 Prozent.
Mein Resümee
In der aktuellen Zinssituation ist es sicher fragwürdiger denn je, Wertpapiere auf Pump zu kaufen. Bei den gekauften Wertpapieren auf eine Rendite zu hoffen, die höher als der gezahlte Zins für den Wertpapierverleih ist, … ist, sagen wir, … risikoreich. So bliebe eigentlich v.a. die Nutzung zur kurzfristigen Disposition, um den noch höheren Kontokorrent- bzw. Überziehungszinsen zu entgehen. Aufgrund des regulatorischen Overheads, wie er jetzt zumindest bei der comdirect eingeführt wurde, wird sich jedoch kaum ein Anleger der Mühen einer vertraulichen Selbstauskunft unterziehen wollen.
Für meinen Teil: ich bin raus!
Und nun Ihr: Welche aktuellen Erfahrungen habt Ihr mit Eurer Depotbank in Sachen Wertpapierkredit gesammelt?
PS: … und die onvista bank?!
Ach ja: die onvista bank gehört ja ebenfalls zur Commerzbank. Und, wird hier eine vertrauliche Selbstauskunft für den Wertpapierkredit benötigt? Nein!
Aber, wie wir ja mittlerweile wissen, wird die onvista bank bis Ende 2025 den Betrieb einstellen…
Bild von Ulrike Leone auf Pixabay